Gedanken verloren | Unthinking
Eine Aufbruchsgeschichte – in Worten, Fotografien, Pianoklängen
Christof Jauernig ist Betriebswirt und arbeitet seit vielen Jahren in Frankfurt am Main als Analyst in einer Unternehmensberatung für Banken, als ihm schleichend die innere Verbindung zu seinem kopflastigen Job und dem rauen, gewinnorientierten Arbeitsumfeld abhandenkommt. Was er tut, erscheint ihm nur noch sinnlos. Den Mut, sich von seinem ihm fremd gewordenen Beruf und dem täglichen Lauf im Hamsterrad zu verabschieden, fasst er jedoch erst, als seine inneren Widerstände übergroß geworden sind. Bald darauf bricht er zu einer sechsmonatigen Rucksackreise durch Südostasien auf – ohne Plan für danach. Sie führt ihn, entlang zauberhafter Natur und eindrucksvoller Begegnungen, in eine neue Verbindung mit der Welt, zurück zu sich selbst, und immer weiter hinaus aus dem Gedankenkarussell, hinein in die Fülle des jetzigen Augenblicks.
Jetzt nimmt er seine Gäste mit auf diese Rucksacktour, aber auch auf seinen inneren Weg, heraus aus der Sinnkrise. Zu einer großen Auswahl projizierter Reisefotografien rezitiert er Texte, die unterwegs entstanden sind. Sie erzählen von seiner Reise, aber ebenso vom Hören auf die innere Stimme, dem Ausbrechen aus ungesunden Routinen, der Entmachtung von Intellekt und Wertung, der Wiederentdeckung der von Analyse und Bewertung ungetrübten Schönheit der Welt, und davon, jeden Moment zu würdigen. Es entfaltet sich eine Melange aus Fotografien, erzählten Reiseszenen und lyrischen Stimmungsbildern, untermalt von seinen eigens hierfür eingespielten Piano-Improvisationen. Ein stimmungsvoller, höchstpersönlicher Abend, der zum Innehalten einlädt und von einer ausführlichen Fragerunde abgerundet wird.
Eintausendmal Lebensglück
CHRISTOF
JAUERNIG
Heute verblasst die Erinnerung etwas und ich fühle, ich muss langsam auf zu neuen Ufern oder vielleicht wieder etwas riskieren. Mal sehen, zu einer weiteren Karriere in einem Unternehmen kann ich mich nicht entschließen. Nächster Versuch ist eine Selbständigkeit.
Zuerst erschienen in: Verlorene Gedanken, Nr. 1/2018
Mein Ausstieg zum Einstieg (ins Leben)
Die Geschichte von Gregorius
Vorwort des Herausgebers: Im Anschluss an eine meiner bebilderten Lesungen des vergangenen Jahres kontaktierte mich einer der Besucher per Mail. Unter anderem schrieb er: „Im Prinzip hast Du mich nochmals auf meine eigene Reise mitgenommen. Meine Geschichte ist sehr ähnlich und ich erlebte eine nicht zu beschreibende Befreiung und genieße seitdem fast jeden Tag - die Tage sind plötzlich mit Leben gefüllt! Wenn Du Interesse hast schreibe ich Dir meine Geschichte gerne mal zusammen.“ Und ich hatte Interesse, und so schrieb mir Gregorius (der eigentlich anders heißt) seine Geschichte auf. Sie hat mich berührt. Weil sie toll geschrieben ist, und weil sie illustriert, dass das Befreiende, von dem ich in meiner eigenen Geschichte über mein Loslassen einer alten, ungesunden Lebenssituation und mein Vertrauen auf das, was kommt, erzähle, kein Einzelfall ist. Mit Gregorius‘ Erlaubnis, und versehen mit einer Auswahl seiner eigenen schönen Fotografien aus dieser Zeit, veröffentliche ich seinen Bericht hier – in seiner ursprünglichen, von ihm spontan runtergeschriebenen Form.
Von Gregorius (der eigentlich anders heißt) - 26.01.2018
Ich war mir nicht ganz sicher, wo ich die Geschichte anfangen muss, jedoch würde ich sagen, dass ich den heutigen Zustand bereits einmal in meiner Jugend hatte. Ich konnte mich aufgrund meiner elterlichen Erziehung nicht so sehr mit dem autoritären, hierarchischen System der Arbeitswelt anfreunden und habe viele Jahre gebraucht, bevor ich etwas anfing. Die Leute sagten mir immer, ich muss eine Ausbildung machen, "was werden". Letztlich habe ich mich dann zur "Integration" gezwungen und mit 22 Jahren eine Ausbildung gemacht. Eine Zukunft mit Geld und eine doch interessante Aufgabe in der IT ließen mich auch leicht durchhalten und über die unangenehmen Chefs hinwegsehen. Dann folgten einige sehr ambitionierte Jahre mit "Karriere" (oder zumindest Zielen) und ich arbeitete viel und lang. Wechselte dann später in eine Firma mit noch besserer Bezahlung und noch mehr Verantwortung. Bei einer anstehenden Beförderung zum Management kam dann der Bruch, ich hatte einen Konflikt zwischen Aufstieg und gefühltem Verrat meiner Kollegen. Ich wollte die Interessen des Teams sowie der Firma gleichzeitig vertreten und das verhinderte dann meinen weiteren Weg. Ich bekam ein sehr verlockendes Angebot zum "Europamanager" bei einer anderen Firma und habe trotz doppelten Gehalts, Dienstwagen etc. abgesagt, da ich mich mit meiner Gesundheit nicht in der Lage sah, durch die Gegend zu fliegen und von einem Meeting ins nächste zu rennen. Meine Lebensgefährtin war auch schwanger und ich dachte: besser den Spatz in der Hand und etwas mehr zu Hause sein. Manchmal träume ich schon noch heimlich vom Jetsetleben...aber ich glaube, das ist viel weniger schön, als es scheint.
Lagoa de Obidos
Ab da änderte sich meine Einstellung grundlegend. Um klarzustellen: es ging hier nicht um Minenarbeit und mein Job war gut bezahlt, wir hatten alles was man sich an Komfort vorstellen kann. Es gab sogar Personal, das uns Kaffee brachte, die Mittagessenbestellung aufnahm, Freizeiträume, Erholungscouchen, Massagen... was die Silicon Valley-Firmen eben so anbieten. Aber das alles ist nur ein "Goodie" und sagt wenig über einen guten Job aus. Was mir fehlte, war Mitbestimmung, echte Zusammenarbeit, Freiheiten und Ziele, die über ein reines Geldvermehren hinausgingen. Auch das tägliche Hamsterrad: gleiche Arbeitsstrecke, gleiche Probleme lösen, von der Arbeit zurück, schlafen. Meist schlief ich schlecht oder spät ein, nachdem ich den Rest des Abends ausgelaugt am Fernseher oder vorm Internet verbracht hatte.
„Das tägliche Hamsterrad: gleiche Arbeitsstrecke, gleiche Probleme lösen, von der Arbeit zurück, schlafen."
Danach kamen Bücher wie Gemeinwohlökonomie, Sacred Economics, Debt, und so kam ich auch zur GLS Bank. Spätestens ab da fühlte ich mich bestätigt, dass etwas nicht stimmte mit unserer "klassischen" Arbeitswelt. Irgendwann wurden dann auch die drei Tage Arbeit pro Woche zur echten Last und ich wollte schon morgens nicht mehr hin.
Seltsam war dabei, dass ich die Arbeit selbst eigentlich mochte und diese wirklich wie geschaffen für mich war. Ich löste schwierigste technische Probleme und wurde gerufen, wenn keiner mehr weiterwusste. Ich hatte Kontakt zu Menschen und konnte ihnen helfen, auch das liegt in meiner Natur. Mein eigentliches Problem war die Unternehmenspolitik und auch die unehrliche Art von Vorgesetzten und manchen "Business Kollegen".
Da die Bezahlung so gut war, dass ich mit drei Arbeitstagen die ganze Familie ernähren konnte, erschien mir die Kündigung unmöglich, obwohl ich regelmäßig daran dachte. Auch die finanzielle Sicherheit war immer im Hinterkopf und die Verantwortung für meine Familie. Obwohl ich also dringend rauswollte, schaffte ich es nicht. Und hier meine Bewunderung an Dich!! Dazu braucht man Mut, den ich nicht hatte. Einziger Gedanke: vielleicht werde ich irgendwann gekündigt und bekomme dann noch eine Abfindung... und einige Jahre später war es dann tatsächlich soweit. Ich kam zu einem wichtigen angesetzten "Termin" am frühen Morgen, und da ich zu spät war, kam ich als letzter in den Raum. Lauter seltsame Gesichter und eine komisch ruhige Atmosphäre... dann erhielt auch ich meine Kündigung und die ganze Abteilung musste innerhalb einer Stunde das Gebäude verlassen. Schreibtische geräumt, Computer gesperrt, und dann mit Sicherheitspersonal herausbegleitet (wie im Film!). Ich wusste natürlich gleich um mein Glück und habe als einziger eine solche innere Erleichterung gespürt - alles vorbei – Juhu, und das ohne mein Zutun.
"Mir sind abends oft die Tränen gekommen - vor Glück!! Ich hatte einfach das Gefühl: außer den paar Habseligkeiten im Bus braucht es eigentlich nichts, und eigentlich wollte ich nie mehr zurück nach Hause."
Zurück in der Heimat habe ich dennoch einiges mitgenommen von der Reise. Mein inneres Selbstbewusstsein ist unheimlich gestiegen. Mir ist klargeworden, dass ich eben so bin, wie ich bin. War immer ein "Widersacher" und kann mich eben nicht so formen, dass ich in die normale Arbeitswelt passe. Ich muss mir auch nichts mehr beweisen (früher wollte ich überall der Beste sein, gewinnen, etc.). Ich weiß ich bin etwas wert, auch ohne Festanstellung, Titel oder Riesengehalt. Ich streite mich nicht mehr so schnell, gehe ruhiger an die Sachen ran. Und eine sehr schöne Erfahrung ist, dass ich mich nun traue, fremde Menschen einfach anzusprechen und vielleicht auch offener mit ihnen spreche. Dies sorgt gerade in meiner Heimat, wo viele die Nase sehr hoch tragen, mitunter für Verwirrung, fast sehe ich ein bisschen Angst bei den Leuten, wenn ich sie mal unvermittelt anspreche. Was will der von mir? Ist er verrückt? Will er mir was andrehen? So sehen sie mich zumindest an. Meist ist es aber kein Problem und oft knüpfe ich so auch neue Kontakte.
"Ich weiß ich bin etwas wert, auch ohne Festanstellung, Titel oder Riesengehalt."
Jacobsweg bei Castrojeriz
Bassin d'Archachon (Alle Fotografien: Gregorius)
Danach wurde meine Begeisterung für die Firma weniger, ich bekam Nachwuchs, nahm etwas Erziehungszeit und begann mit einem Studium als Ausgleich. Ich kürzte erst einen Tag, dann zwei Tage und wurde dann aufgrund meiner Teilzeit aufs "Abstellgleis" geschoben, das heißt keine Gehaltserhöhungen, kein Bonus, keine Trainings, keine neuen Projekte. Leichte körperliche Anfälligkeiten wurden schon ausgeprägter (Bauchschmerzen, Halsschmerzen, Erkältungsanfälligkeit, Ängste). Laut den Ärzten war ich allerdings top fit! Der nächste Meilenstein war eher zufällig. Ich saß an meinem freien Tag in der Bibliothek und griff in Pausen immer wieder wahllos zu den Büchern und hatte plötzlich ein Buch Namens "Arbeit und Menschenwürde" in der Hand.
Baskenland
Mein Heimweg führte mich direkt in einen Supermarkt und ich kaufte dort Champagner zum Anstoßen, obwohl ich mir sonst nie so teures Zeug gönne und Feiern schon gar nicht meine Art ist. Verwandte und Freunde waren natürlich ob meiner Fröhlichkeit etwas verwirrt. Die Abfindung war zwar reine Abzocke und nur ein Taschengeld, aber ich wollte mich nicht mit Gerichtsstreitigkeiten aufhalten. Wir haben sofort Pläne geschmiedet, die Wohnung untervermietet, haben uns einen kleinen Camper gekauft und ich dazu meine erste Windsurfausrüstung, von der ich schon lange träumte.
Nun ging es los, ein halbes Jahr mit dem Bus unterwegs, meist von Windsurfspot zu Windsurfspot (meine arme Familie!). Die ersten Wochen waren noch schwer, der Stress wollte nicht nachlassen und die 2,5 qm zu dritt führen auch zu Konflikten. Nach etwa sechs Wochen trat eine vollkommene Entspannung ein, wie ich sie noch bei keinem Urlaub erlebt hatte.
Dann in Südspanien fanden wir ein schönes Plätzchen und meine Entspannung wurde noch einmal stärker, eine komplette "Egal-Haltung", ein Tages-Rhythmus nur bestimmt durch Frühstück, Mittagessen, Abendessen, und das alles in seliger Ruhe. In den sechs Monaten keine einzige Erkältung, jeden Abend schlief ich umgehend ein, obwohl ich meist ohnehin schon neun bis zehn Stunden schlief.
Auch Ängste oder ähnliches wie weggeblasen. Nach etwa drei Monaten verloren wir dann auch die Angst vorm "Wildstehen", d.h. wir verließen die Camping- und Stellplätze und parkten einfach irgendwo an einem Strand oder einer Felsklippe. Abends Meer, Sonnenuntergang, Natur und am Morgen wunderschöne Aussichten.
Geheimer Entspannungsort
Später dann in die Berge. Einsame Wanderungen, viele Begegnungen mit wilden Tieren. Riesige Gänsegeier, die ich den ganzen Tag beobachtete, Füchse, Schafe, alles dabei. Eines Nachts saß ich im Stockfinstereren mit dem Teleskop auf einem verlassenen Campingplatz, als plötzlich ein Fuchs ganz nah neben mir stand. Mir sind abends oft die Tränen gekommen - vor Glück!! Ich hatte einfach das Gefühl: außer den paar Habseligkeiten im Bus braucht es eigentlich nichts, und eigentlich wollte ich nie mehr zurück nach Hause. Vor allem der Kontakt zur Natur und der frischen Luft fehlte mir im Büro.
Tejo (Lissabon)
Spannend war noch ein klärendes Gespräch mit meiner Mutter neulich. Sie hatte den Eindruck, ich wäre in meinen Firmen richtig glücklich und gut aufgehoben gewesen, und nun sei ich unglücklich und sie mache sich Sorgen um mich! Verkehrte Welt, es war genau umgekehrt. Vermutlich war ich früher nur etwas freundlicher (scheinheiliger würde ich sagen) und einfacher zu handhaben. Heute sage ich auch öfter nein, wenn ich keine Lust habe, oder sage direkt, was ich meine, das kann andere Menschen schon mal vor den Kopf stoßen.
Ich denke, das war so die grobe Zusammenfassung. Natürlich könnte ich viel über einzelne Erlebnisse sprechen, aber ich denke, ich kann zusammenfassend sagen, dass ich einfach mit wacheren, offeneren Augen durch die Welt gehe. Ich sehe die Jahreszeiten, die Tiere, andere Menschen, einfach ein bewussteres Leben.
Möchtest Du Gregorius schreiben? Dann schicke Deine Zeilen bitte an mich – ich leite sie an ihn weiter.